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ZERSTÖRTE STRASSEN (ПОГАНІ ДОРОГИ)
von Natalia Vorozhbyt
Studiotheater HMTM-Hannover

In der ukrainischen Provinz Donbas herrscht Krieg. Eine Autorin begibt sich auf eine Recherchereise an die Front und verliebt sich dort in einen Soldaten. Teenager hocken auf Bänken und warten auf Militärs um Sex gegen Geschenke zu tauschen. Ein Schulleiter gerät in eine Kontrolle und wird dort schikaniert. Ein Mädchen wird von Soldaten entführt und missbraucht. Eine Sanitäterin trauert um ihren im Kampf getöteten Geliebten, dessen Leichnam sie im Auto transportiert.

Natalia Vorozhbyt hat Berichte aus dem ukrainischen Kriegsgebiet aufgegriffen und in einer Kette von Geschichten verarbeitet. Jede dieser Geschichten hallt in den anderen nach. Mit ZERSTÖRTE STRASSEN schreibt die ukrainische Autorin eine emotionale, kraftvolle und bitter-komische Schilderung darüber, was es heißt, in Kriegszeiten eine Frau zu sein und welche Auswirkungen der Krieg auf die Beziehungen der Menschen hat.


Aus dem Russischen von Lydia Nagel
Aufführungsrechte Drei Masken Verlag, München

Premiere am 29. April 2022 

Es spielen: Jana Auburger, Leo Kramer, Sophia van den Berg, Jan-Hendrik von Minden und Paul Wiesmann

Regie: Titus Georgi, Kostüm: Julie Fritsch und Anna Holtkamp, Video: Jonas Schmieta, Dramaturgie: Regina Guhl, Sprechen: Christiane Heinrich, Assistenz: Sophie Casna, Technik / Ton / Licht: Frank Baumgart und Frank Schulz

Das Stück der ukrainischen Autorin, Originaltitel „Bad Roads“ spielt 2017, erschreckenderweise trifft es genauso auf
 die Gegenwart zu. Eine Frau und ein Mann fahren zusammen an die Front. Ihr Beruf ist Schreiben, seiner der Krieg. Sie verlieben
 sich. So knapp könnte man alle Begegnungen zwischen den Personen beschreiben, die im Gegenteil kompliziert sind, widersprüchlich, die Verwandlung der Menschen durch den Krieg zeigen. Für das Team, die Schauspieler:innen eine Aufgabe, die sie sich nicht leicht gemacht haben. „Wir wollten nichts entschärfen, denn so findet es im Moment ja tatsächlich statt.“ Sie waren mutig, haben sich weit herausgetraut. Sie haben die Szenen zerschnitten „um sie aushaltbarer zu machen.“ Mehr hätten die meisten Zuschauer:innen auch kaum ertragen. Es sind drei Ebenen: Die – fiktive – Erzählung der Autorin, die Dialog-Szenen, die Video- Szenen, größtenteils live, im Breitwandformat. Eine Stange trennt Vorder- und den leicht erhöhten Hintergrund. Drei Schulmädchen unterhalten sich über ihre Geschenke von Soldaten. Sie geben an, sie konkurrieren, sie schämen sich, machen sich was vor. Die Schauspieler:innen zeigen offen, wir sind nicht im Schulmädchenalter, eines 
der Mädchen wird von einem Mann gespielt. Das verfremdet und intensiviert zugleich. Und gerade weil sie nichts ‚vor‘-spielen, sind alle Spieler:innen in jeder Minute glaubhaft. Eine Frau und ein Soldat fahren in einem Jeep, auf der Bühne sitzen sie auf einem Sofa. Die Frau macht sich an den Soldaten ran. Aus Verzweiflung, im Kofferraum liegt ihr Mann mit abgeschnittenem Kopf. Sein Kommandant. Szenenwechsel zur härtesten Szene: Er und sie, Russe und Ukrainerin. Er schlägt sie, will sie vergewaltigen. Sie redet um ihr Leben, behauptet „ich liebe dich“, um ihn zu rühren. Er wirft sie zu Boden, schmeißt sich auf sie, sie redet weiter, zum Schein einverstanden. Er lässt sich nicht abhalten, aber er kann nicht. Szenenwechsel. Die Fahrszene von Frau und Soldat eskaliert. Er schmeißt sie raus, lässt sie wieder rein. Das Auto springt nicht an. Die Frau will plötzlich ihren Mann beerdigen, sie will ihn jetzt, sofort, verbrennen. Der Soldat nimmt sie in den Arm. Die Szene im Keller bleibt extrem bedrohlich. Sie gibt nicht auf und bringt ihn schließlich
 zum Reden, von sich selbst, vom Krieg. Er wird zum Menschen. Er hatte eine Baufirma, wollte nicht in den Krieg, ist jetzt verloren, beschädigt, scheint suizidal. Er rettet sich durch Gewalt, kündigt schlimmste Grausamkeiten an. Sie wird ohnmächtig. Den Zuschauern stockt der Atem. Er hat nur so getan. Kürzlich sagte Natalia Vorozhbyt „Bitte gewöhnt euch nicht an diesen Krieg.“ Ihr Stück und die Schauspieler:innen halten uns wach.

Von: Ulrike Kahle-Steinweh

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